Sehr geehrte Damen und Herren,
die Tarifrunde 2021 fand in einer absoluten Ausnahmesituation statt. Die Pandemie hat unser Land nach wie vor fest im Griff und sorgt für massive Verunsicherung unserer Unternehmen und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In dieser Gemengelage haben wir mit der IG Metall verhandelt – mit dem klaren Ziel, einen Abschluss zu vereinbaren, der die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen fest im Blick hat.
Ich meine, dass wir unserem eigenen Anspruch in diesen schwierigen, von Rezession, Strukturwandel und Pandemie geprägten Zeiten gerecht werden konnten. Dazu gehört sicherlich, dass unsere Unternehmen nach 2020 auch in den Jahren 2021 und 2022 während der Laufzeit keine Tabellenerhöhung verkraften müssen. Es ist auch gut, dass wir mit der IG Metall insgesamt eine längere Laufzeit von 21 Monaten bis zum 30. September 2022 verabreden konnten. Über diese Laufzeit betrachtet haben wir in unseren Unternehmen nur einen sehr moderaten Anstieg der Arbeitskosten von rund 1 Prozent zu verkraften.
Der Abschluss zeigt den Charakter eines echten Kompromisses: Als Ausgleich für pandemiebedingte Belastungen erhalten unsere Beschäftigten im Juni 2021 eine Corona-Beihilfe von 500 Euro. Wir haben mit der IG Metall zudem eine neue jährliche Sonderzahlung vereinbart, die im Februar 2022 18,4 Prozent und ab Februar 2023 27,6 Prozent eines Monatsentgelts beträgt. Besonders freut mich, dass wir eines unserer Kernziele erreichen konnten, nämlich eine automatische Differenzierung für krisenbetroffene Unternehmen, die bereits bei einer Nettoumsatzrendite von kleiner 2,3 Prozent greift. Damit tragen wir, das haben wir immer betont, der heterogenen wirtschaftlichen Lage in unserer Industrie Rechnung und helfen den Betrieben, die in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Ein Modell, das wir hoffen auch in Zukunft vereinbaren zu können.
In den beiden Themen Arbeitszeitabsenkung bei strukturellen Beschäftigungsproblemen und Zukunftstarifverträge haben wir optionale, also freiwillige Regelungen gefunden. Nur durch freiwillige Betriebsvereinbarungen können etwa Arbeitszeitabsenkungen mit teilweisem Entgeltausgleich erfolgen und werden überwiegend durch die Sonderzahlung finanziert. Anders ausgedrückt: Die Betriebe können sie anwenden, müssen es aber nicht – und damit bleibt die unternehmerische Freiheit gewahrt. Gleichwohl möchte ich Sie in den so wichtigen Fragen der Transformation zu einer transparenten und kooperativen Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat ermuntern – etwa bei der Erstellung von Betriebslandkarten als Voraussetzung für den Aufbau einer digitalen Agenda. Wir haben immer betont, dass wir unsere Mitarbeiter in den anstehenden Veränderungsprozessen mitnehmen wollen. Wenn wir also insoweit den Menschen in den Mittelpunkt stellen, geht das nur mit guter Kommunikation.
Abseits der im Einzelnen getroffenen Regelungen ist mir gerade nach dieser Tarifrunde ein Gedanke besonders wichtig: Mir ist bewusst, dass der Flächentarif und die Vereinbarungen, die wir in ihm für unseren gesamten Industriezweig treffen, von Ihnen in Ihren Betrieben zunehmend mit Argusaugen beobachtet werden. Es ist inzwischen so, dass der Flächentarif seine Legitimation in unserer Mitgliedschaft stets aufs Neue beweisen muss.
Gerade vor diesem Hintergrund meine ich, dass wir mit dem Ergebnis der diesjährigen Tarifrunde einen wichtigen Schritt für mehr Akzeptanz des Flächentarifs machen konnten. Der Wert der Tarifautonomie - das bescheinigen uns übrigens auch kritische Medien - zeigt sich gerade in Krisenzeiten. Sozial- und Tarifpartnerschaft ist oft anstrengend, Auseinandersetzungen werden immer wieder auch erbittert geführt – gerade auch mancherorts auf betrieblicher Ebene. Doch am Ende erleben wir doch zumeist, dass dann erzielte Kompromisse in den allermeisten Fällen auch verlässlich halten und für die so notwendige Planungssicherheit und Betriebsfrieden sorgen. Ein Blick über die deutschen Grenzen genügt, um zu sehen, wie fragil andernorts oft die Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern sein können.
Aus meiner Sicht muss die Tarifautonomie eine wichtige Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft bleiben. Sie ist auch ein Garant für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Auch deshalb sollten wir sie vor jenen Protagonisten aus der Politik schützen, die meinen, sie mit immer weiteren Eingriffen schädigen zu müssen. Ich freue mich, wenn wir mit unserem Tarifabschluss dazu beitragen können, die Tarifpartnerschaft in unserem Land ein Stück weit populärer gemacht zu haben.
Mit einem herzlichen Glückauf
Arndt G. Kirchhoff