Seit zwei Monaten beeinträchtigen der russische Angriff auf die Ukraine und die daraufhin vom Westen verhängten Sanktionen die globale Konjunktur. Wie stark dies die Unternehmen in Deutschland verunsichert und wie dynamisch die Lage ist, spiegelt sich auch in der aktuellen IW-Konjunkturumfrage wider. Diese wurde in drei zweiwöchigen Zeiträumen durchgeführt, um die sich verändernden Einschätzungen zeitnah abbilden zu können.
In der ersten Märzhälfte gingen bereits deutlich weniger Unternehmen von einem Produktionsanstieg aus als im Spätherbst 2021 (siehe "Konjunkturprognose: Hoffen auf 2022"). Die in der zweiten Märzhälfte befragten Firmen waren noch pessimistischer – der Saldo aus positiven und negativen Erwartungen schrumpfte auf neun Prozentpunkte, bevor er im Zeitraum 28. März bis 10. April wieder leicht stieg. Die Ergebnisse dieses jüngsten Befragungsabschnitts im Detail:
1. Geschäftslage deutlich besser als im Frühjahr 2021. Auch wenn sich die Einschätzungen gegenüber dem Herbst leicht eingetrübt haben, stufen die meisten Firmen die aktuelle Situation im Vergleich zum von Corona geprägten Frühjahr 2021 doch als besser ein (Grafik):
Gut vier von zehn Unternehmen berichten von einer günstigeren Produktionslage als vor einem Jahr, lediglich jeder fünfte Betrieb meldet eine Verschlechterung.
Ganz ähnlich sieht die Momentaufnahme mit Blick auf Investitionen und Beschäftigung aus.
2. Erwartungen deutlich gedämpft. Der Ukraine-Krieg trübt den Blick auf den weiteren Jahresverlauf zwar erheblich. Da in der IW-Umfrage jedoch stets ein Vergleich mit dem Vorjahr vorgenommen wird und 2021 durch coronabedingte Produktionsstörungen sowie Lockdown-Maßnahmen gekennzeichnet war, fallen die Zahlen noch relativ gut aus:
Immerhin 39 Prozent der Unternehmen rechnen für das Gesamtjahr 2022 mit einem höheren Produktionsvolumen als 2021, 24 Prozent erwarten einen Rückgang.
Da infolge der Pandemie viele Investitionen aufgeschoben wurden, fällt hier der Vorjahresvergleich noch etwas günstiger aus – 43 Prozent der Firmen gehen von einem Investitionsplus aus, 20 Prozent werden ihre Ausgaben für neue Maschinen und andere Anschaffungen voraussichtlich reduzieren. Ohne die geopolitischen Belastungen durch den Krieg wäre das Investitionsklima allerdings deutlich freundlicher.
Die Beschäftigungsperspektiven haben sich dagegen bislang noch nicht stark eingetrübt, vor allem im langjährigen Vergleich sind die aktuellen Befragungsergebnisse – der Saldo zwischen positiven und negativen Beschäftigungserwartungen beträgt 22 Prozentpunkte – überdurchschnittlich gut.
3. Aussichten je nach Wirtschaftszweig sehr unterschiedlich. Die im Herbst 2021 noch recht optimistische deutsche Industrie steht nun am Rande einer Rezession (Grafik):
Der Anteil von 37 Prozent der Industrieunternehmen, die für 2022 mit einem Produktionsanstieg rechnen, liegt nur noch neun Prozentpunkte über dem Anteil der Pessimisten.
Dies überrascht insofern nicht, als vor allem die exportorientierten Industriefirmen von der kriegsbedingt schwächeren Dynamik der Weltwirtschaft betroffen sind. Zudem verschärfen ausbleibende Lieferungen von Rohstoffen oder Vorprodukten die ohnehin bestehenden Fertigungsprobleme.
Auch die Dienstleister blicken mit weniger Zuversicht nach vorn als im Herbst 2021. Unterm Strich aber rechnet der Wirtschaftsbereich, der in den vergangenen beiden Jahren erheblich unter den Corona-Einschränkungen zu leiden hatte, noch überwiegend mit einem Aufwärtstrend. Das zeigt sich auch in den Investitionsplänen:
55 Prozent der Unternehmen im Servicesektor wollen 2022 mehr investieren als im Vorjahr, lediglich 9 Prozent wollen den entsprechenden Etat kürzen.
Ganz anders sieht es in der Bauwirtschaft aus, die bis zuletzt auf Wachstumskurs war und vergleichsweise unbeschadet durch die Corona-Pandemie gekommen ist. Doch der Ukraine-Krieg verschärft die bereits zuvor erkennbaren Materialengpässe und treibt die Baukosten steil in die Höhe. Demzufolge halten sich die positiven und negativen Firmenerwartungen inzwischen fast die Waage, eine Rezession im Bausektor ist nicht auszuschließen.
4. Große Abweichungen zwischen den Regionen. Dort, wo Industriezweige wie die Automobilbranche und ihre Zulieferer dominieren, bestimmt die Erholung nach den coronabedingten Einbrüchen noch immer das Umfragebild. So geht vor allem in Nordrhein-Westfalen und Bayern, aber auch in Baden-Württemberg die Mehrzahl der Unternehmen für 2022 von einem Produktionsplus aus. In den nordöstlichen Bundesländern – Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt – sind dagegen 43 Prozent der Firmen skeptisch und nur 27 Prozent zuversichtlich. Der naheliegende Grund: In diesen Regionen sind die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland und dem Ostseeraum besonders eng, etwa durch die Häfen oder die Transportinfrastruktur – Stichwort Gaspipelines.
Angesichts der dynamischen geopolitischen Lage kann die IW-Umfrage nur eine Momentaufnahme liefern. Gravierende Veränderungen, etwa vollständig ausbleibende russische Gaslieferungen, würden eine Neubewertung seitens der Unternehmen erfordern.
Quelle: iwd